Montag, 30. August 2004
prolog
das gebäude ragte über alle anderen der stadt hinaus und schien sehr ehrgeizig zu sein. jedenfalls was seine größe betraf. es reckte sich so sehr dem himmel entgegen, als hätte es sich in den kopf gesetzt, nicht nur die wolken zu kratzen, sondern auch gleichzeitig den sternen eine ordentliche tracht prügel zu verpassen. es unterschied sich jedoch nicht nur anhand seiner schon fast unverschämten ausmaße von allen anderen gebäuden der metropole, auch seine architektur war einmalig (der architekt schien nicht nur größenwahnsinnig gewesen zu sein, sondern hielt anscheinend auch nicht all zu viel von angewandter physik. vielleicht war auch das genaue gegenteil der fall...). vom groben umriss her ließ es sich am einfachsten mit zwei pyramiden vergleichen, wobei die eine kopfüber auf der anderen ruhte. an der stelle, an der sich eigentlich ihre spitzen hätten treffen müssen, mündeten sie in ein kugelförmiges gebilde, welches das zentrum des enormen komplexes darstellte. die meisten bewohner der stadt waren der meinung, dass das gebäude eine sehr große ähnlichkeit mit einer hyperdimensionalen sanduhr aufweise. zugegeben, die leute, die das behaupteten, hatten vielleicht nicht gerade sehr viel phantasie, jedoch trafen sie mit ihrer beschreibung genau ins schwarze.
des weiteren bestand es eben nicht wie so viele andere gebäude überwiegend aus modernem verspiegeltem glas, sondern zum größten teil aus schwarzem mauerwerk. hier und da gab es natürlich auch fenster, kunstvoll gearbeitet und in den verschiedensten farben. manche von ihnen schienen sich über mehrere stockwerke hinweg zu erstrecken. überall gab es kleine vorsprünge, auf denen wasserspeier hockten oder in stein gehauene, mystische skulpturen standen, alle von unterschiedlicher art. nur eines hatten sie alle gemeinsam: sie waren schwarz. bis auf die augen...
in dieser nacht allerdings gewann das gebäude für den zeitraum von circa fünfzehn minuten noch einiges zu seiner ansonsten schon sehr außergewöhnlichen außergewöhnlichkeit hinzu. auf einem der obersten vorsprünge erschien plötzlich eine gestallt. das soll jetzt nicht heißen, dass sie gemütlich um die nächste ecke anspaziert wäre oder sich mit einem tau abgeseilt hätte. nein, sie erschien auf ihre höchst eigene und äußerst elegante art und weise. nämlich einfach aus dem nichts. sie saß auf dem vorsprung, ließ die beine im wind baumeln, atmete tief durch und blickte sich dann suchend um. übrigens war „sie“ wirklich eine sie. ein kleines mädchen, um genau zu sein. aber nur im ersten augenblick. denn schon bei näherer betrachtung stellte sich heraus, dass es sich um eine junge dame handelte, was aber wiederum vom übernächsten augenblick in frage gestellt wurde, welcher darauf bestand, dass die frau schon mindestens auf die vierzig zuging. der vierte augenblick dann bot einem eine alte frau dar, worauf hin der nächste eine greisin zeigte. diese wandlung wiederholte sich danach wieder. allerdings in umgekehrter reihenfolge. und so ging es endlos weiter, so dass der eindruck entstand, die gestallt pulsiere wie ein personifizierter herzschlag. auf das genaue aussehen der frau soll an dieser stelle nicht näher eingegangen werden, da es sich damit genauso verhielt wie mit ihrem alter: es war ständig in bewegung.
sie saß also einfach da und sah sich um, so als ob sie noch jemand anderen erwartete. und dieser jemand lies auch nicht all zu lange auf sich warten. es war eine krähe und im gegensatz zu der frau wirkte sie sehr gewöhnlich. auf dem rücken einer kleinen brise glitt sie auf einen nahegelegenen wasserspeier zu und ließ sich flatternd darauf nieder. einige zeit lang herschte stille, bis sich die frau dazu entschloss, das wort zu ergreifen. ihre stimme klang wie die gezeiten des meeres als sie den vogel begrüßte. „es ist sehr ungewöhnlich, dass du mich zu einem treffen einlädst, aber es ist immer wieder eine freude, dich zu sehen. was kann denn so wichtig sein, dass du sogar dafür in kauf nimmst, dass wir beide unsere pflichten vernachlässigen? und dann noch an einem solchen ort?“ die krähe gab ein kurzes krächzen von sich. „natürlich komme ich direkt zur sache“ erwiederte die frau, „also tu es mir gleich. worum geht es?“ der vogel sah etwas verlegen unter sich und lies ein leises „krahra“ hören, das etwas genuschelt klang. „wie bitte? du hast WAS verloren? das ist doch wohl nicht dein ernst! du kannst sie doch nicht einfach verloren haben, sie ist schließlich ein teil von dir.“ die frau starrte ungläubig in die augen des vogels, der darum bemüht schien, ihrem blick auszuweichen. er wirkte wirklich sehr niedergeschlagen. und auch ein bischen ängstlich. „krahhgäg“ gab er nach einigem zögern zur antwort. „was soll das heißen, sie wurde dir gestohlen? das kann doch nicht... wer sollte denn dazu in der lage sein?“ die krähe zuckte resigniert mit den schultern und auch die frau wurde zusehends ernster. „okay, das spielt zunächst keine rolle. sie wurde also gestohlen... bei den gezeiten!“ beide sahen sich nun ernst an. „dir ist hoffentlich klar, was es für konsequenzen hätte, wenn wir sie nicht bald wiederfinden können. gar nicht daran zu denken, was in der zwischenzeit schon alles passiert ist... na schön, ich kann mir schon denken, was du von mir willst. es ist schließlich auch in meinem interesse, dass du sie so bald wie möglich zurückbekommst.“ der gesichtsausdruck des vogels wurde etwas hoffnungsvoller. er gab ein fragendes krächzen von sich. „selbstverständlich helfe ich dir. mach dir keine sorgen, wir finden sie bestimmt wieder. wir brauchen nur jemanden zu finden, der sich mit diebstählen auskennt. ein wahrer meister seines faches sozusagen. und du wirst es nicht glauben, aber ich hab da schon jemand bestimmten im auge.“ die krähe breitete ihre flügel aus, flatterte durch die luft und lies sich auf der schulter der frau nieder. „sei unbesorgt, es wird schon alles gut gehen, du wirst sehen.“ die krähe war sich da nicht so sicher, aber von positivem denken hatte sie sowieso noch nie besonders viel gehalten. in ihrem beruf wurde das auch nicht all zu oft von ihr verlangt. ein windstoß fegte etwas laub herbei, welches die beiden gestalten für einen sekundenbruchteil verdeckte. als die blätter vorbeigezogen waren, war auch das seltsame paar spurlos verschwunden.
natürlich gab es in einer solchen höhe keine bäume, aber die frau hielt es für sehr elegant, sich auf diese art und weise in luft aufzulösen. die krähe teilte ihre meinung.

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